Kasachstan: Große Rohstoffvorkommen sind Stärke und Risikofaktor zugleich
Auf einen Blick
- Solide öffentliche Finanzen und großer Rohstoffreichtum.
- Die größte Schwäche ist die starke Abhängigkeit von Öl und dem Kaspischen Pipelinekonsortium.
- Kasachstan drohen sekundäre Sanktionen aufgrund der rasant steigenden Exporte nach Russland.
- Hohe wahrgenommene Korruption, Wasserknappheit und Vermögensungleichheit könnten soziale Spannungen erneut zutage treten lassen.
Pro
Kontra
Staatsoberhaupt
Regierungschef
Bevölkerung
BIP pro Kopf
Einkommensgruppe
Hauptexportgüter
Für 2024 Konjunkturrückgang erwartet
Die russische Invasion der Ukraine hat für Kasachstan bisher nur wenig negative Folgen. Dies ist teilweise auf den großen Zustrom von russischen Migranten und Finanzmitteln, sowie die stark gestiegenen Exporte nach Russland zurückzuführen. Nach dem für den weiteren Jahresverlauf 2024 prognostizierten Rückgang dürfte das BIP-Wachstum 2025 im Zuge der erwarteten Erweiterung der Förderkapazität im Ölfeld Tengiz wieder zunehmen. Jede zusätzliche Verzögerung würde zu diesem Zeitpunkt jedoch die Wachstumsaussichten für 2025 eintrüben; des Weiteren wird sich Kasachstan als OPEC+-Mitglied an die in der Gruppe vereinbarte Drosselung der Ölfördermenge halten müssen.
Zwar ist das Land reich an Bodenschätzen, doch die Diversifizierung über die Öl- und Gasindustrie hinaus bleibt eine zentrale Herausforderung, insbesondere da der Staat nach wie vor einen starken Einfluss auf die Wirtschaft hat. Vor diesem Hintergrund wurde im vergangenen Jahr eine Beschleunigung des bisher ausgesprochen zäh verlaufenden Privatisierungsprogramms angekündigt. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie rasch dieser Prozess tatsächlich verlaufen wird.
Solide öffentliche Finanzen
Da der öffentliche Sektor ein Nettogläubiger ist, bleiben die öffentlichen Finanzen solide. Die Bruttostaatsverschuldung belief sich 2023 auf weniger als 25 % des BIP und dürfte, vorbehaltlich des Ausbleibens großer externer Schocks, in den kommenden Jahren unter 30 % verbleiben. Vor diesem Hintergrund beschlossen die Behörden dieses Jahr die Wiedereinführung einer Haushaltsregel und die Fortsetzung der Konsolidierung der Haushaltsbilanz, was eine Anhebung der Staatseinnahmen erfordern könnte. Es sei angemerkt, dass die öffentlichen Finanzen sensibel auf die Entwicklung von Ölpreisen und -produktion reagieren, da Öleinnahmen seit Langem etwa 25 % der Staatseinnahmen ausmachen. Außerdem haben die 2008 und 2009 gemachten Erfahrungen mit dem Bankensektor gezeigt, dass staatliche Unterstützung in Fällen, in denen es keine ausdrückliche staatliche Garantie gibt, nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte.
Soziale Spannungen könnten erneut zutage treten
Im Januar 2022 löste ein Preisanstieg massive, landesweite soziale Unruhen aus, die mithilfe russischer Streitkräfte rasch eingedämmt wurden. Dies führte zum Ausrufen vorgezogener Präsidentschaftswahlen und der Ankündigung unterschiedlicher Reformen wie etwa der Verabschiedung eines neuen Sozialgesetzbuchs und der Erhöhung von Sozialausgaben. Selbst als die Inflation 2022 und Anfang 2023 weiter anstieg, blieben erneute soziale Unruhen aus, doch angesichts der hohen wahrgenommenen Korruption (das Land belegt Platz 93 auf dem Transparency-International-Index über die wahrgenommene Korruption), der Gefahr von Wasserknappheit (trotz der rezenten großen Überschwemmungen) und der ungleichen Verteilung der Erträge aus dem Rohstoffabbau bleibt das Risiko unverändert bestehen. Während in der Vergangenheit auch kleinere Proteste gegen die zunehmende chinesische Präsenz in der Grenzregion beobachtet wurden, ist eine Eskalation der Lage angesichts Chinas Position als wichtiger Handelspartner und ausländischer Investor in Kasachstan unwahrscheinlich.
Nachdem die Inflation einen Höchstwert erreicht hatte, konnte die Zentralbank den Inflationsdruck erfolgreich reduzieren und ist nunmehr zu einer Lockerung der Geldpolitik übergegangen (s. Grafik unten: Inflation in Rot, Leitzins in Orange). Diese Entwicklung ist positiv zu bewerten, da sie zu einer Senkung inländischer Finanzierungskosten für den öffentlichen und privaten Sektor führen sollte.
Verschlechterung der Leistungsbilanz und das Risiko der Ölabhängigkeit
Nachdem die Leistungsbilanz 2022 einen Überschuss aufwies, verwandelte sie sich 2023 in ein Defizit, was darauf zurückzuführen ist, dass die Leistungsbilanzausgaben schneller stiegen als die Einnahmen, die nach einem deutlichen Anstieg in den Jahren 2021 und 2022 leicht rückläufig waren. Auch künftig dürfte die Leistungsbilanz unverändert defizitär bleiben, ungeachtet der für 2025 erwarteten starken Zunahme der Ölförderung.
Über 45 % der Exporteinnahmen werden mit Öl erzielt, was darauf hindeutet, dass der OPEC+-Mitgliedsstaat eine erhebliche Abhängigkeit von der Entwicklung der Ölpreise und -produktion aufweist. Die kasachischen Ölexporteinnahmen sind zudem in hohem Maße davon abhängig, dass das Kaspische Pipelinekonsortium CPC, das 80 % des gesamten Ölexports bewältigt, das kasachische Öl nach Europa transportieren kann. Die Unterbrechung der CPC-Lieferungen im Jahr 2022 hat dieses wichtige Risiko unterstrichen. Dies bedeutet, dass der Ölfluss erneut unterbrochen werden könnte, etwa aufgrund von Spannungen im Schwarzen Meer (die CPC-Pipeline endet im russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk) oder wenn Russland wie bereits 2022 beschließt, den Ölfluss zu reduzieren, damals wegen angeblicher technischer Probleme. Um diese Risiken zu mildern, versuchen die kasachischen Behörden – die gegenüber dem Krieg in der Ukraine eine neutrale Position einnehmen –, alternative Handelsrouten zu erschließen, die russisches Staatsgebiet umgehen. Die wichtigste Initiative in der Region ist der Mittlere Korridor, eine Handelsroute, die von Asien über Kasachstan, Aserbaidschan und Georgien nach Europa führt und von der auch die beiden letzteren Länder profitieren könnten. Eine vollständige Verwirklichung erfordert jedoch beträchtliche Investitionen und Koordinierungsanstrengungen zwischen unterschiedlichen Staaten und wird somit Zeit in Anspruch nehmen.
Kurzfristiges politisches Risiko
Die Bruttowährungsreserven (Gold und Vermögenswerte des Nationalfonds der Republik Kasachstan ausgenommen) liegen mit weniger als zwei abgedeckten Monatsimporten auf einem relativ niedrigen Niveau, wobei Kasachstan dank seiner soliden öffentlichen Finanzen auf jeden Fall Zugang zu Finanzmärkten hat.
Seit der russischen Invasion der Ukraine ist Kasachstans Export nach Russland drastisch gestiegen. Obwohl die Behörden entsprechende Maßnahmen getroffen haben, hat die Gefahr sekundärer Sanktionen zugenommen, insbesondere für Gesellschaften, die bei der Umgehung westlicher Sanktionen gegen Russland Unterstützung bieten. Bei der Ermittlung des kurzfristigen politischen Risikos, das derzeit in Kategorie 3/7 eingestuft ist, wird dieses Risiko mitberücksichtigt. Sollte es zur Auferlegung umfangreicher Sanktionen kommen, könnte dies das Vertrauen westlicher Investoren in die kasachische Wirtschaft schmälern und so Investitionszuflüsse reduzieren.
Mittel- bis langfristiges politisches Risiko
Kasachstan hat eine negative, aber akzeptable Nettoauslandsposition, die 2022 bei circa 30 % des BIP und 70 % der Leistungsbilanzeinnahmen lag. Ein Großteil der Auslandsverbindlichkeiten besteht aus ausländischen Direktinvestitionen, was die attraktive Position des Landes im Rohstoffsektor (Öl und Bergbau) sowie seinen großen Rohstoffreichtum unterstreicht. Gleichzeitig ist Kasachstans Bruttoauslandsverschuldung – 72 % des BIP im Jahre 2022 – einer der Hauptgründe für die Einstufung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos in Kategorie 5/7. Andere Faktoren hinter diesem Risiko – das die Zahlungsfähigkeit eine Landes oder seine Fähigkeit, Auslandsschulden langfristig zurückzuzahlen, widerspiegelt – sind unter anderem Rohstoffabhängigkeit, Risiken in Verbindung mit sekundären Sanktionen und dem CPC sowie die relativ schwach ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit (das Land liegt gemäß den Governance-Indikatoren der Weltbank auf Platz 36), der mittleren Grad der Korruptionsbekämpfung (Platz 49) und die Qualität von Rechtsvorschriften (Platz 53). Derzeit sind die Aussichten des mittel- bis langfristigen politischen Risikos positiv.
Analystin: Pascaline della Faille – P.dellaFaille@credendo.com