Albanien: Aufwertung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos von 5/7 auf 4/7
Auf einen Blick
- Albaniens mittel- bis langfristiges politisches Risiko wurde von 5/7 auf 4/7 hochgestuft.
- Die makroökonomischen Fundamentaldaten, insbesondere die Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung, haben sich schrittweise verbessert, was eine höhere Resilienz gegenüber externen Schocks ermöglicht.
- Die erfolgreiche Tourismusbranche ist ein wichtiger Motor für das mittel- bis langfristige BIP-Wachstum.
- Eine potenzielle Rezession in der EU und Anfälligkeit für den Klimawandel bilden die größten Abwärtsrisiken.
Pro
Kontra
Staatsoberhaupt
Regierungschef
Bevölkerung
BIP pro Kopf
Einkommensgruppe
Hauptexportgüter
Seit 2016 weisen die politischen Risiken Albaniens einen konsequent positiven Trend auf, der einzig während des Covid-19-Schocks kurz zum Stillstand kam. Dieser stetige Fortschritt resultiert aus der niedrigeren Auslandsverschuldung und größeren ökonomischen Resilienz gegenüber externen Schocks, auch wenn die albanische Wirtschaft von einem verheerenden Erdbeben und der Pandemie im Jahr 2020 schwer getroffen wurde. Die mittel- bis langfristigen Perspektiven werden von einer stärkeren Tourismusbranche und verbesserten Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft unterstützt, was einen Katalysator für die Fortführung der erforderlichen Strukturreformen darstellt. Aus diesem Grund beschloss Credendo im Dezember eine Aufwertung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos Albaniens von 5/7 auf 4/7.
Allmähliche Stärkung der makroökonomischen Fundamentaldaten
Nach einer kräftigen Erholung im Nachgang der Pandemie erreichte das BIP-Wachstum 2022 4,8 %, wird für letztes Jahr auf 3,6 % geschätzt und soll Prognosen zufolge mittel- bis langfristig bei etwa 3,4 % liegen (wie bereits zwischen 2016 und 2019). Die makroökonomischen Fundamentaldaten haben sich stetig verbessert. Bei der öffentlichen Finanzlage gibt es Verbesserungspotenzial: Die Haushaltsbilanz liegt mittel- bis langfristig bei 3 % des BIP und die Staatsverschuldung könnte ab diesem Jahr auf die Schwelle von rund 60 % des BIP fallen und dort verbleiben, nachdem sie 2020 auf 75,8 % des BIP geschnellt war.
Die öffentlichen Zinszahlungen sind akzeptabel und sollen dieses Jahr auf über 10 % der Einnahmen steigen. Die wirtschaftliche Lage hat von der boomenden Tourismusindustrie in hohem Maße profitiert, was bestätigt, dass Albanien eine attraktive Destination im Mittelmeerraum geworden ist und dies auch künftig bleiben dürfte. Nach einem historischen Jahr 2022, in dem der Tourismus ein Drittel der gesamten Leistungsbilanzeinnahmen ausmachte, konnte 2023 die mit Abstand beste Saison verzeichnet werden, die das Vor-Corona-Niveau bei Weitem überstieg.
Während diese Entwicklung das Vertrauen in das verbesserte Image und die Stabilisierung des Landes unterstreicht, könnte sie auch dazu beitragen, dass das Leistungsbilanzdefizit künftig bei rund 5 % des BIP begrenzt bleibt. Des Weiteren kann das Land auf Rücküberweisungen seiner umfangreichen, die Bevölkerung Albaniens noch übertreffenden Diaspora stützen, die besonders in Krisenzeiten eine starke und stabile Quelle von Leistungsbilanzeinnahmen darstellen. So empfängt Albanien von allen EU-Staaten die höchsten Rücküberweisungsbeträge, die 2022 rund 15 % der albanischen Leistungsbilanzeinnahmen ausmachten. Dank dieser starken Quellen von Leistungsbilanzeinnahmen befinden sich die Währungsreserven auf einem komfortablen Stand und stiegen 2023 deutlich an (im Oktober 2023 um 14 % gegenüber Vorjahr). Folglich dürfte Credendo dem kurzfristigen politischen Risiko in nächster Zeit weiterhin die gute Bewertung 3/7 geben. Die Währungsreserven blieben mit sechs Monatsimporten stabil, wobei die Einfuhren aufgrund der Folgen des Ukrainekriegs gestiegen sind und sich Lebensmittel und Energie verteuert haben.
Die Auswirkungen des Ukrainekriegs zeigten sich in Albanien primär in Form der schwächelnden EU-Wirtschaft und einer Inflation, die 2022 mit durchschnittlich 6,7 % den höchsten Stand seit 20 Jahren erreichte. Dieser Wert liegt allerdings unter dem EU-Durchschnitt und ist weniger ausgeprägt als in manch anderen Balkanländern. Tatsächlich konnte Albaniens ausschließliche Abhängigkeit von Wasserkraft die negativen energiewirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges abmildern.
Verbesserte Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung
Das mittel- bis langfristige politische Risiko Albaniens wird vom finanziellen Risiko dominiert. Dies hat dank begrenzter Auslandskredite sowie beträchtlicher Leistungsbilanzeinnahmen und einer starken Wirtschaftsleistung jedoch abgenommen. Demzufolge wies die Auslandsverschuldung zwischen 2020 und 2023 einen kontinuierlichen Rückgang auf und soll sich mittel- bis langfristig bei deutlich unter 60 % des BIP stabilisieren. Die Schuldendienstverpflichtungen dürften auf einem akzeptablen Stand bleiben, auch wenn mittel- bis langfristig höhere Niveaus prognostiziert werden. Die kurzfristige Schuldenquote bewegt sich in derselben Größenordnung und betrug Ende 2022 weniger als 12 % der Leistungsbilanzeinnahmen und das Fünffache der Währungsreserven. Der Auswirkungen der höheren globalen Zinssätze sollten daher beherrschbar sein.
Rezession in der EU und Klimawandel sind zwei große Abwärtsrisiken
Künftig wird Albaniens Wirtschaft von verschiedenen Abwärtsrisiken belastet. Zum einen ist der Ukrainekrieg und sein Einfluss auf den Inflationsdruck zu nennen, auch wenn die Inflation von 7,4 % Ende 2022 auf 4 % im zweiten Halbjahr von 2023 zurückgegangen ist. Der Krieg wirkt sich außerdem auf die EU-Wirtschaft aus, von der Albanien weitgehend abhängig ist. Die schwachen Aussichten für die EU könnten den Handel und die Rücküberweisungen der Diaspora beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass sich das Geschäftsumfeldrisiko Albaniens in den kommenden Monaten über die aktuelle moderate Bewertung D/G hinaus verbessert. Zum anderen wird die Zukunft von verschiedenen strukturellen Risiken eingetrübt: von der alternden Bevölkerung, der anhaltenden Nettoabwanderung (s. Grafik unten) sowie vom Klimawandel. Tatsächlich ist Albanien dem fortschreitenden Klimawandel besonders stark ausgesetzt. Gründe hierfür sind die Abhängigkeit vom Küstentourismus, ein generelles Problem von Mittelmeerländern, die Abhängigkeit von Wasserkraft als wichtigste Energiequelle, was das Land anfällig für Dürren macht (wie im Jahr 2022, als die Stromimporte gesteigert werden mussten), sowie die Bedeutung der Landwirtschaft.
Wiederbelebung des EU-Erweiterungsprozesses ist Antrieb für Regierungspolitik
Die Perspektiven könnten sich mit einer EU-Erweiterung verbessern. Angesichts der gestiegenen geopolitischen Spannungen hat die EU dem Erweiterungsprozess für die Westbalkanländer neue Impulse verliehen und sich dabei die Frist von 2030 gesetzt. Obgleich die Erreichung dieses Ziels nicht nur von den Fortschritten der Kandidatenländer, sondern auch von den EU-Mitgliedsstaaten selbst und notwendigen EU-Reformen abhängig sein wird, scheint der Weg hin zu einer Erweiterung ein Stück weit geebnet worden zu sein. Nach Eröffnung der Beitrittsgespräche zwischen Albanien und der EU im Juli 2022 sollte das jüngste Bekenntnis der EU dem Reformprozess, der bisher eher schleppend verlief, neues Leben einhauchen. Die politische Kontinuität unter Ministerpräsident Rama – der seit zehn Jahren im Amt ist und dessen sozialistische Partei von der gespaltenen Opposition profitiert – sowie die positive Haltung der Bevölkerung gegenüber einer EU-Mitgliedschaft bilden günstige Faktoren für die Umsetzung der notwendigen Reformen. In den vergangenen Jahren kam es jedoch häufig zu Antiregierungsprotesten, die sich gegen Partikularinteressen, den Lebensstandard und mangelnden Reformwillen, vorrangig in den Bereichen Korruption und Gerichtswesen, richteten. Trotz gewisser Fortschritte in den letzten zehn Jahren bilden Albaniens schwache institutionelle Standards weiterhin bedeutende Risikofaktoren, insbesondere in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, die im Vergleich mit Europa und sogar mit anderen Balkanstaaten schlecht abschneiden. Auch organisierte Kriminalität, speziell Drogenhandel und Geldwäsche, stellt ein anhaltendes Risiko dar. Der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität gehört zu den Topprioritäten der Regierung für einen zukünftige EU-Beitritt und Erfolge in dem Bereich würden auch Albaniens wirtschaftliche Perspektiven verbessern, da diese Faktoren weiterhin eine Hürde für Direktinvestitionen sowie eine Ursache der Abwanderung von Jugendlichen bilden.
Analyst: Raphaël Cecchi – r.cecchi@credendo.com